Jürgen Kuhlmann

Abschiedspredigt
am 6. August 1972


in der Nürnberger Pfarrkirche St. Elisabeth


Meine lieben Zuhörer!

Verklärung Christi hieß meine erste Pfarrei, am Fest der Verklärung Christi feiere ich wie ein großer Teil von Ihnen schon weiß, heute auch meine vorerst letzte Messe. Eine Lebensetappe geht zu Ende, eine neue soll mit Gottes Hilfe beginnen! Eigentlich wollte ich ganz still fortgehen, da nun aber mein Vorhaben bereits in der Kirchenzeitung steht, halte ich es doch für besser einiges zu sagen!

Mißverständnisse lassen sich zwar nicht vermeiden, aber was in unserer Macht steht, müssen wir doch gegen sie tun! Weder verteidigen will ich mich noch rechtfertigen! Bei Entschlüssen, die so persönlich und zugleich so tief einschneidend sind, gebührt die Rechenschaft nur Gott allein; und dazu braucht es keine Kanzel!

1. Jemand könnte denken: anscheinend steht unser christlicher Glaube doch auf recht wackligen Füßen, wenn sogar Leute, die ihn erst mit vielen großen Worten verkündigt und angepriesen haben, doch auf einmal abfallen. Dazu ist zu sagen: Mißverständnis. Mit dem christlichen Glauben hat mein Schritt nichts zu tun. Ich glaube heute nicht weniger fest und lebendig an Jesus Christus und seine Botschaft als vor einem Jahr oder vor 10 Jahren. Im Gegenteil: ich bin fester als je überzeugt, daß nur in der rechtverstandenen Botschaft Jesu die Fülle des Heils für die Menschheit von heute und morgen zu finden ist. Schauen Sie doch herum in unserer Welt: wo finden Sie mehr Freude und Lebensschwung als im Evangelium ? Nein, der Wein des Glaubens ist mir nicht sauer geworden, wenn ich ihn auch fortan aus einem anderen Glas trinke.

2. Viele fragen sich: was ist eigentlich in diese Priester gefahren ? Meinen sie wirklich daß ein bißchen Sex ihnen das große Glück bringt? Was nützt die ganze Theologie, wenn sie auf diesen uralten Irrtum hereinfallen? - Wieder ein Mißverständnis! Von den anderen nehme ich es an, und von mir weiß ich es: ich stolpere nicht in die Ehe, um das große Glück zu finden! Woher ich das weiß? Ganz einfach: weil ich in dem großen Glück auch schon vorher gelebt habe, längst bevor ich auch nur eine Frau näher kannte, geschweige denn mich zur Ehe entschloß! Wer Gott hat, dem fehlt nichts, Gott allein genügt, sagt die große Teresa - und ich habe erlebt, daß sie recht hat. Was ist die einzige Weise, glücklich zu werden? Du mußt merken, daß du es in Gott schon bist. Ich mache mir keine Illusionen. Ohne Gottes tiefe Freude ist auch die Ehe eine traurige Sache oft genug eine Hölle! Und mit Gottes tiefer Freude kann man auch allein sehr sehr glücklich sein! Das weiß ich und will es jedem bezeugen. Ja, aber warum dann ? Das ist mein Geheimnis und gehört nicht hierher! Jedenfalls nicht, um glücklich zu werden. Das bin ich schon vorher gewesen!

3. Weiter wirft man mir vielleicht vor: Du feige Ratte, die das sinkende Schiff verläßt! Aber wie böse und traurig wirst du erst sein, wenn es dann doch nicht untergeht! Wiederum ein Irrtum! Ich verlasse die Kirche nicht und habe auch nicht das Gefühl, sie sei am Untergehen! Wenn ein Walfangschiff sich in eine große Flotte kleinerer Boote verwandelt und selbst ziemlich untätig und mit geringer Mannschaft liegen bleibt, dann ist das nicht sein Untergang, sondern seine Bestimmung! Keine Angst, die Boote kehren wieder zurück: Siehe, sie kommen, kommen mit Jauchzen, ihre Gaben zu bringen. Die katholische Kirche - wie könnte ich ohne sie leben ? Ihr verdanke ich alles, sie hat das Fleisch und Blut meines Geistes geformt von Anfang an. Von manchem will ich entbunden werden, nicht aber von der Mutter Kirche! In diesem Leben sind wir ja alle noch Embryos, und für solche ist eine unverletzte Nabelschnur lebensnotwendig! Daß ich uneingeschränkt katholisch bleibe, dafür habe ich eine Garantie. Welche? Nun, ich habe oft und intensiv darum gebetet! Ich meine, bei einer solchen Gelegenheit darf einer das sagen, ohne geschmacklos zu sein. Wer seinen Vater um ein Ei bittet, der kriegt von ihm keine Schlange; wer Gott um die Gnade des echten katholischen Glaubens bittet der braucht vor keinem Abfall zu bangen. So einfach ist das -für den, der glaubt! Daß manche, die in der Kirche etwas zu sagen haben, diesen Gedanken lächerlich finden werden, steht auf einem anderen Blatt. Ich bitte aber darum, jener Unglauben nicht mir anzulasten.

4. Damit sind wir beim nächsten Einwand: Hast du denn nicht am Tag der Priesterweihe, jetzt vor bald 10 Jahren, dem Bischof feierlich Gehorsam versprochen? Und jetzt brichst du dieses Versprechen. - Breche ich es? Man kann dieses Problem entweder weltlich oder göttlich betrachten. Weltlich gesehen stellt es sich so dar: Im Mittelalter hatten die Bischöfe ein handfestes Interesse daran, ihre Priester bei der Stange zu halten. Da ging es um sehr reale, weltliche Machtfragen. Erst damals, mehr aus politischen als aus religiösen Gründen, ist dieses ungeheuerliche Versprechen in den Kirchenraum eingedrungen und bis heute darin verblieben, natürlich nicht nur aus Versehen, sondern weil es für die Bischöfe sehr bequem ist, gehorsame Untergebene zu haben. Ein solches sozusagen erpreßtes Gelöbnis absoluter Treue zu einer Institution paßt aber überhaupt nicht zu unserem Bewußtseinsstand - wer sich davon löst, verdient keinen Vorwurf sondern eher einen Glückwunsch. Soweit die weltliche Betrachtung. Jetzt die göttliche: Ich habe dieses Versprechen damals zwar sichtbar dem Bischof gegeben, eigentlich aber Gott selbst. Deshalb habe ich auch nichts von Erpressung dabei gespürt, sondern alles war ein großer Friede. Gott macht es auf jeden Fall recht, das war mir klar. Und er hat es recht gemacht, allerdings jetzt plötzlich auf eine Art, die seinen Stellvertretern wenig paßt. Angenommen aber, es gehöre in einer Firma zum Aufnahmeritus der Lehrlinge, daß der Stift dem Prokuristen Gehorsam verspricht: dann kann trotzdem einmal der Chef höchstpersönlich dem Lehrling etwas anderes befehlen. Damit ist der seines Gehorsamsversprechens ledig. Normalerweise wird der Chef das dem Prokuristen mitteilen - wie aber, wenn dessen Leitung gerade besetzt ist? Dann kann es sein, daß der Prokurist einen furchtbaren Zorn auf den Stift bekommt - bis der Chef das Mißverständnis aufklärt. Ich hoffe, der Tag ist nicht fern.

5. Eine letzte Anfrage: Und wie, wenn du nach weiteren 10 Jahren feststellst, daß auch dein jetziger Entschluß ein Irrweg war , was dann? Auch das ist falsch gedacht. Mein Priestertum ist kein Irrweg, und der Zölibat ist keiner gewesen. Um des Himmelreiches willen ehelos zu sein ist eine wunderbare, gültige Lebensform; nach katholischem Dogma ist sie besser und seliger als die Ehe. Wie alle katholischen Dogmen glaube ich auch dieses, freilich muß man es richtig verstehen. Besser und seliger ist diese Lebensform, aber natürlich nur für die, denen es von Gott gegeben ist, und solange es ihnen gegeben ist. Daß mir diese Gabe geschenkt war, das weiß ich, und manche von Ihnen haben es vielleicht zuweilen gemerkt. Jetzt ist mir statt ihrer ein anderes Geschenk zuteil geworden. Was ist daran so verwunderlich? Die Zeit gehört zu den geschaffenen, endlichen Dingen wesentlich dazu. Manche Wissenschaftler nennen sie die vierte Dimension. So wie alles unter dem Himmel eine bestimmte Länge, Breite und Höhe hat, so auch eine bestimmte Dauer. Es wäre eine blödsinnige Logik, etwa zu sagen: München ist schön, Nürnberg ist nicht München, also ist Nürnberg häßlich. Ebenso töricht ist der Gedanke : Zölibat und Ehe schließen sich aus, er heiratet, also war der Zölibat ein Irrweg. Nein. Ich bejahe ausdrücklich die gottgeweihte Ehelosigkeit als eine herrliche, freie Möglichkeit, sich selbst als Mensch und Christ zu verwirklichen und vielen anderen dabei zu helfen. Wenn ein junger Mensch mich fragt, ob so zu leben denn möglich und sinnvoll sei, würde ich sagen: Und ob! Wenn du die göttliche Klarheit in dir fühlst, daß dies dein Weg sei, dann trau dich und geh ihn! Es gibt keinen schöneren. Wohl gibt es andere schöne. Daß ich jetzt auf einen solchen gestellt bin - glauben Sie mir: davon war ich zuerst am allermeisten selber überrascht. Aber es ist so und mit genau derselben inneren Gewißheit, wie der Mensch meines Namens einst ins Seminar zog, tritt der Mensch meines Namens jetzt in den Stand der Ehe. Ist es derselbe Mensch oder nicht? Das ist ein philosophisches Problem, das man sich so oder so lösen mag. Während meiner Studentenzeit hat mich die Frage gequält: Wenn ein Wurm zerschnitten wird und als zwei Würmer weiterlebt, wo kommt die zweite Wurmseele her? Obwohl ich die Antwort immer noch nicht weiß, macht das Problem mir keinen Kummer mehr. Ähnlich ist es hier! Vielleicht ist der , der ich gewesen bin, schon im Himmel und wartet dort auf den, der ich sein werde? Jedenfalls vertraue ich: Gott nimmt sie beide an, ob es zwei Personen sind oder zwei Etappen einer Person.

Doch genug der Erklärungen. Wer nach all dem immer noch Ärgernis nähme, der wäre selber schuld und sollte lieber seine unerleuchtete Sturheit anklagen als mich. "Als sie ihre Augen erhoben, sahen sie niemand als Jesus allein. " Seine Gegenwart genügt. Er bleibt bei euch, auch wenn ihr irgendwann überhaupt keine Priester mehr haben solltet. Er bleibt bei mir, auch wenn ich nicht mehr feierlich in seinem Namen am Altar stehen darf Wer das Zeichen hat, der hat, wenn er nur will, auch dessen Wahrheit. Wer das Zeichen verliert, dem bleibt immer noch die Wahrheit. Wenn ein Kriegsgefangener ein Bild seiner Frau gerettet hat, dann hilft ihm dieses Bild oft, an die Wahrheit der Liebe zu glauben. Wenn er aber das Bild eines Tages verliert, dann bleibt ihm immer noch die Liebe. So ähnlich auch hier. Wer die Messe feiern darf, der erlebt voller Freude Gottes Heil. Wer sie nicht mehr feiern darf, dem bleibt erstens die Erinnerung, zweitens die Hoffnung, drittens und vor allem aber die ungetrübte Gegenwart des Heils. Denn die Wirklichkeit ist unendlich intensiver als alle ihre Zeichen.

"Als sie ihre Augen erhoben, sahen sie niemand als Jesus allein." Deshalb: Erheben wir unsere Augen! Suchen wir nicht nach Dreck. Was einer sucht, das findet er: wenn Dreck, dann Dreck; wenn Gott, dann Gott. Erheben wir unsere Augen und schauen wir auf Jesus allein. Sein Name bedeutet: Gott ist Heil. Glaubst du das? Ich ja. Amen.


Hier meine Antwort an eine Kritikerin 2007

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