Jürgen Kuhlmann

SIE

Kurze theologische Bemerkungen

zum "Psalm an SIE"


1) Gott ist weder er noch sie noch es, sondern über alle diese Unterschiede unendlich erhaben. Daran sollte es unter Christen keinen Zweifel geben. Wir Menschen können aber kaum zu Gott und gar nicht über Gott sprechen, ohne irgendwelche Bilder und Vergleiche zu verwenden, in denen allen ein Er oder eine Sie oder ein Es enthalten ist. Und selbst wer Gott »den ganz Anderen« nennt, macht - wie ersichtlich - da keine Ausnahme. In einer matriarchalisch geprägten Kultur würde er ebenso selbstverständlich sagen, die wirklichste Wirklichkeit sei »die ganz Andere«. Weil wir unseren Glauben auch mit Worten bezeugen und weitergehen müssen, darum darf die negative Theologie nicht nur in der ihr angemessensten Form des völligen Schweigens auftreten, sondern muß von ihrer Strenge so viel nachlassen, daß sie alle mißverständlichen Gottesnamen nicht von Anfang an, sondern erst am Ende durchstreicht: wenn die Nußschale den Kern freigegeben hat, kommt sie in den Abfall, vorher nicht.

2) Innerhalb dieser kritischen Klammer (Gott ist jeweils ganz anders) hat jedoch Gleichberechtigung zu herrschen. Ebenso bedenkenswert wie lustig ist die Antwort eines Dekans. Als ich ihn auf den Jesaja-Vers hinwies: »Ich will euch trösten, wie einen seine Mutter tröstet« (66, 13), meinte er spontan: »Freilich vergleicht sich Gott mit einer Mutter, aber der das sagt, ist Gott der Vater.« Genauer scheint es mir zu sagen: derselbe unnennbare Gott kann mit demselben Recht von Jesaja mit einer Mutter und von Jesus mit einem Vater verglichen werden.

3) Die patriarchalische Epoche geht zu Ende; wer immer noch meint, man dürfe von Gott bloß als von »ihm« sprechen, hat die Zeichen der Zeit nicht verstanden. »Daß Gott immer als männliches Wesen dargestellt wird, finde ich nicht richtig, da Gott weder Mann noch Frau ist oder genau so viel Frau wie Mann ist.« ( Ruth Händler).

4) Das bisherige katholische System war gut ausgewogen. Ich erinnere mich, wie ein junger Franzose im Ferienlager einmal das Abendgebet einleitete. »Und jetzt wollen wir unserem Vater und unserer Mutter im Himmel für den schönen Tag danken.« Folgte ein Vaterunser und ein Ave Maria. Die Mutter Gottes als Ikone für Gott die Mutter, das war eine geradezu ideale Lösung, die einerseits allen Polytheismus ausschloß, andererseits den Himmel nicht mutterlos ließ. Leider scheint die Zeit dieser Lösung ebenfalls vorbei. Die Katholiken haben in Maria im selben Maß die Schwester entdeckt wie die Mutter verloren.

5) Darf man aber einem Kind sagen, es habe einen Vater und eine Mutter im Himmel? Fördert das nicht die Gefahr der Vielgötterei? Ich glaube nicht, mindestens nicht stärker als es das Dogma der drei göttlichen Personen immer schon tut. Damit sind wir bei einer wichtigen Einsicht: nicht nur kann der eine Gott, sofern er unser Schöpfer ist, ebenso Vater wie Mutter genannt werden (wobei dem Unterschied der Namen keinerlei Verschiedenheit im benannten Gott entspricht). Sondern sofern der Vater Jesu Christi auch unser Vater sein will, ist »der« Heilige Geist (hebräisch: die heilige Ruach!) auch unsere Mutter. Hier bildet die endliche Relation Vater / Mutter also unvollkommen, aber wirklich, eine unendliche innertrinitarische Relation ab! Daß der Heilige Geist in Gott die Mutter sei, ist zwar eine vergessene, aber keine neue Lehre in der Kirche. Z.B. läßt schon das Hebräer-Evangelium Jesus sagen: »Sogleich ergriff mich meine Mutter, der Heilige Geist, an einem meiner Haare und trug mich auf den großen Berg Tabor« (Henneke-Schneemelcher S. 108). Wir dürfen froh sein, daß eine derartige Vorstellung nicht kanonisch wurde; doch bevor eine tiefe Einsicht zur Hexenfabel verkommen kann, muß sie erst einmal bestehen! Natürlich lassen sich gegen die These von einer innertrinitarischen Mutterschaft der heiligen Liebe vielerlei Einwände finden und widerlegen; vgl. in meinem Büchlein »Der dreieinige Gott« (Selbstverlag Nürnberg 1968) die Seiten 51-66.

6) Es scheint mir sehr zu wünschen, daß möglichst viele Katholiken ein lebendiges Verhältnis zu ihrer göttlichen Mutter gewinnen. Dann würde endlich, sei es die infantile Fixierung, sei es die unreife Rebellion gegen die »Mutter Kirche« von einer angemesseneren Einstellung zur Gemeinde der Gläubigen abgelöst. Deren wahre Autorität leitet sich ja daraus her, daß sie die große Schar der älteren und jüngeren Geschwister ist, die alle auf einander Rücksicht zu nehmen haben. Vater und Mutter soll aber jeder auf Erden nur zwei Menschen nennen, sonst niemand - am wenigsten eine stets zur Selbstvergötzung versuchte Institution.

1972

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