Jürgen Kuhlmann

MIT ODER OHNE BALL ?

Gedanken zur Schlußszene von "Blow Up"

Den einen wird es schwer vergeßlich sein, die anderen können es sich selbst ausmalen: Er und sie, im bunten Clownkostüm, spielen Tennis - ohne Ball und Schläger. Man nennt das Pantomime. Immer ernster wird der Schlagwechsel, bis endlich der "Ball" über das Drahtgitter nach draußen fliegt und irgendwo auf dem Parkrasen zur Ruhe kommt. Thomas, der sinnend zugeschaut hatte, wird von der unbekannten Spielerin mit inständigen Gesten aufgefordert, er solle doch so nett sein und ihnen den Ball holen. Sich aufraffend geht er los, während ihm die Schar der Kiebitze wie gebannt nachsieht. Nach einigem Suchen hat er den Nicht-Ball gefunden, wirft ihn kräftig zurück - und hört, deutlich und deutlicher, das solide Pung-Pang eines Tennisduetts. Sein Gesicht spannt sich zu grenzenlosem Staunen. Darauf nimmt er seine Kamera, und geht langsam weiter.

Was denkt er dabei? Ihn selbst können wir nicht fragen: ein Kunstwerk hat kein Innenleben, ist nicht mehr als es zeigt. Wenn wir aber mit dem guten Recht des Betrachters die Filmfigur von uns aus zu einem lebendigen Menschen ergänzen, kann das auf drei grundverschiedene Weisen geschehen.

1) Die Wirklichkeit ist eine Illusion.

In stammelnde Begriffe gefaßt, könnte erstens folgendes der Gedanke des Thomas sein: "So verrückt bin ich also, daß ich eine Einbildung für wirklich nehme. Genau so geht es mir überhaupt. In Beruf und Vergnügen suche ich verzweifelt nach der Wirklichkeit - jetzt ist klar, daß der ganze Rummel bloß ein bunter Traum ist. Wirklich ist der Tod, der mich ebenso erwartet wie er jenen unbekannten Ermordeten erreicht hat. Wenn das Nichts, das ich in der Hand halte, auch noch so sehr dröhnt und sich wichtig macht: es bleibt trotzdem nichts. Alles ist ein sinnloses Spiel. Ob ich mitspiele oder nicht, ob ich "gut" oder "schlecht" spiele - was liegt daran, wo doch der Ball fehlt? Das Ganze ist nichts weiter als ein Riesenschwindel."

2) Die Liebe schafft Sinn.

Thomas kann aber auch das Gegenteil denken: "Seltsam; ich weiß doch genau, daß ich nichts in der Hand hatte. Ich habe mich auf dieses Nichts bloß eingelassen, um kein Spielverderber zu sein, um halt den beiden einen Gefallen zu tun. Und jetzt ist der Ball wirklich. Sie spielen damit. Ich höre es klar. Ja, das ist die Lösung des Rätsels. An sich ist alles Blödsinn, was ich treibe. Wenn ich das anschaue, was ich tue, ist es nichts. Aber man muß eben einfach mitspielen. Man muß den eigenen Zweifel überspielen und auf den Willen des Andern eingehen, ob der gleich noch so sinnlos scheint. Dann tut man, ohne es vorher zu wissen, mit einem Mal doch das Wirkliche. Pung-Pang, ich höre es noch. Das ganze ist kein Schwindel, sondern ein Wunder. (Mag sein, daß eine ähnliche Geschichte aus seiner Erinnerung aufsteigt:) Die Diener in Kana haben sich wohl auch an die Stirn getippt, als sie die Krüge mit Wasser vollschöpfen mußten. Ausgerechnet Wasser! Verlangten die Gäste etwa nach Wasser? Also weitergespielt! Ja, das Ganze ist ein Wunder, und irgendwann einmal wird sich schon alles klären.

3) Das Rätsel bleibt.

Schließlich kann es so sein, daß ihm diese Gedanken beide kommen und er einfach nicht weiß, ob das Nichts oder der Ball die Wahrheit ist, ob die Hoffnung ihm ein Scheinwunder vorlügt oder die Verzweiflung ein echtes nicht annehmen will. Dann zeigt er das Gesicht des Mannes, der endlich begriffen hat, in welches ungeheure Abenteuer er hineingeraten ist. Man wird vermuten dürfen, daß dies der vom Regisseur gemeinte Sinn der Szene sei: den Zuschauer mit dem klaren Bewußtsein seines eigenen Rätsels in eben den Alltag zu entlassen, dessen wirre Unbegreiflichkeit das Thema dieses meisterlich gestalteten Filmes ist.

Der Christ überlege sich darüber hinaus noch folgendes: Der Film ist eine einzige Frage: die der Jugend von heute, die der ratlosen Menschheit, die Frage endlich des Menschen überhaupt: was soll das Ganze? Je nach dem, wie wir die letzte Szene deuten, ergeben sich die drei Hauptaufgaben der Christen:

Die Welt, welche sich verzweifelnd in sich selbst verschließt, nicht an das Wunder eines letzten Sinnes glaubt: sie haben wir aufzusprengen, ihrer falschen Antwort die richtige scharf entgegenzusetzen.

Der Welt, welche bewußt zweifelt, haben wir als demütige Gesprächspartner Gottes großes Ja weiterzusagen.

Die Welt, welche heimlich die frohe Antwort schon ohne uns zu hören vermag, sollen wir brüderlich bestärken und zur Erkenntnis zu führen versuchen, daß der geschichtliche Name dieser Antwort Jesus Christus ist.

Daß diese drei Aspekte der "Welt" konkret ebensowenig zu trennen sind, wie die Deutung unserer Schlußszene je eindeutig sein wird: dieser Umstand, zusammen mit der formalen Gekonntheit, reiht das Ende von "Blow Up" unter die großen Kunstwerke ein.

14. Juni 1967

Veröffentlicht in "Christ in der Gegenwart" vom 16. Juli 1967, S. 232


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