Jürgen Kuhlmann

Eine Glaubensgestalt für das neue Jahrtausend?

Urlaubsgespräch an südlicher Küste

A: Was ich fürchte, ist sinnlose Beliebigkeit. Meine Mutter ist evangelisch, mein Vater katholisch, ich bin katholisch getauft, aber vor einiger Zeit Protestant geworden, weil diese Glaubensform mich mehr überzeugt, und auch wegen eines inneren Erlebnisses mit evangelischer Musik.

B: Wo ist das Problem? Ich kenne einen Jesuiten, gewinnend und tüchtig, lange Chefredakteur einer hochangesehenen katholischen Zeitschrift, der evangelisch geworden ist, weil die Art, wie seine Kirche mit den Frauen umspringt, ihm unerträglich wurde. Ein anderer Freund hat als katholischer Priester geheiratet, und weil er kein Bücherwurm sondern Vollblutseelsorger ist, hat er um seines Berufes willen die Konfession gewechselt. Derlei Lebensläufe sind heute üblich und werden in den Gemeinden akzeptiert: wenn der Letztgenannte z.B. im katholischen Gotteshaus einer ökumenischen Feier vorsteht. Was macht dir Kummer?

A: Ich sagte es schon: Die Beliebigkeit. Was ist das für ein Glaube, der sich mit spitzen Fingern im ideologischen Supermarkt das ihm Passende heraussucht! Da weiß der Mensch im Grunde doch genau, daß alles einerlei ist. Ich will mir aber nichts vormachen, mag diese Gefahr nicht verdrängen. Darum habe ich Angst, daß ich irgendwann überhaupt nicht mehr glauben und handeln kann.

B: Möchtest du lieber vor vierhundert Jahren gelebt haben, als unsere Väter einander für den Glauben totschlugen?

A: Das gerade nicht. Aber der jetzige Zustand ist auch ekelhaft. Wenn ich mir die Menge meiner Mitstudenten anschaue: da sind kaum Überzeugungen. Außer der, daß Karriere eine gute Sache wäre, wenn man dafür nicht soviel Zeit opfern müßte, in der man auch Spaß haben könnte. Wenn ich solche Stimmung mit der Atmosphäre vergleiche, die uns im Neuen Testament begegnet: Freude dank klarer Gewißheit, die es aller Welt weiterzugeben gilt, für die man sich sogar freiwillig von Löwen zerfleischen läßt - da kann ich schon neidisch werden.

B: Ich weiß nicht recht. Sektenleute strahlen ähnliche Sicherheit aus. Trotzdem will ich mit ihnen nicht tauschen. Zwar haben sie meine Hochachtung, wofern sie ein Minimum an Demut aufbringen und von Gott so groß denken, daß doch auch meinesgleichen eine Heils-Chance bleibt. Persönlich glaube ich aber auf kat-holische Weise: an jene "vielbunte Weisheit Gottes" (Eph 3,10), von der jegliche Sinn-Farbe hervor- und zum Leuchten gebracht wird. Da ist nichts von Beliebigkeit! Kornblumen sind blau, Veilchen violett und Osterglocken gelb.

A: Wir sind aber keine Blumen sondern freie Menschen. Ich war katholisch und bin Protestant.

B: Warst du wirklich katholisch? Für Standesamt und Konfessionsstatistik warst du es. Existentiell aber? Das bezweifle ich. Könnte es so sein? Du warst ein geistlich unbeschriebenes Blatt in geduldiger Erwartung; bei jenem musik-spirituellen Erlebnis hat die christliche Wahrheit in ihrer evangelischen Gestalt sich dir für einen Augenblick oder Ohrenklang geoffenbart, seither bist du gläubiger evangelischer Christ.

A: Das kann wohl sein.

B: Machen wir einen Test: Stehst du im religiösen Supermarkt auch mal vor dem buddhistischen Regal mit der Frage, ob du zu einem Tütchen Zen greifen willst?

A: Überhaupt nicht. Nein, Christ bin ich schon, soviel ist mir klar.

B: Vorsicht! Kierkegaard würde protestieren. Sagen wir so: Insofern du versuchst, ein Christ werden zu wollen, bist du einer.

A: Einverstanden. Ist das, was du da vorschlägst, aber nicht eine radikal andere Glaubensform als was bisher galt? Nicht weil meine Religion die Wahrheit ist, glaube ich sie, sondern weil ich sie glaube, ist sie meine Wahrheit? Ich fürchte, dem hätten Luther und sein Medici-Papst gemeinsam widersprochen!

B: Kann wohl sein. Sie lebten nicht im globalen Jahrtausend. Außerdem hast du den Gegensatz allzu scharf konstruiert. Gar so subjektivistisch geht es natürlich nicht.

A: Wie dann?

B: Sagen wir so: Gott, die WAHRHEIT in Person, teilt dich als Zelle seines lebendigen Wahrheitsleibes einem bestimmten Sinnorgan zu. Dessen besondere Wahrheitsweise ist die deine. So glaubst du, nicht beliebig, nicht aus Willkür, sondern in freier Annahme einer gottgewirkten Tat-Sache. Daß andere anders glauben, stört dich nicht, sowenig deine Niere dagegen ist, daß dein Magen manches durchläßt, was sie hinauswerfen muß. Täte das schon der Magen, würde dir schlecht. Sollte Gott, die selbstbewußte Einheit des ganzen Sinnleibes, unser aller innerstes SELBST, dich eines Tages auf Wanderschaft in ein anderes Organ schicken: dann darfst du dich diesem Zug des Herzens überlassen. Mögen die Offiziellen des einen Organs von Abfall sprechen und die des neuen von Bekehrung - beide Wörter treffen daneben. Kann sein, du kommst dir dann wie ein halb in Wasser getauchter Bleistift vor. Alle Welt redet von biographischem Knick, gar gebrochener Existenz - das ist aber bloß eine optische Täuschung. Selbst weißt du dich ganz und heil.

A: Klingt nicht schlecht. Wäre das also die neue Glaubensform für das angebrochene Jahrtausend?

B: Nicht die. Das traditionelle Verständnis herrscht weithin noch vor, denk an die auftrumpfenden Orthodoxen in allen Religionen. Wohl aber schlage ich ein gültiges Glaubensverständnis vor, das sich vor anderen nicht verstecken muß, nach und nach hoffentlich zum herrschenden wird und so das Ende der Religionskriege bringt. Ganz ohne Synkretismus: Obwohl Magen und Niere sich gut vertragen, mischen sie sich nie zu einem einzigen Organ!

A: Da habe ich einiges zum Nachdenken. Auf jeden Fall ist mir leichter ums Herz.

August 2001

Weiter im Oktober 2001

A: Seien wir doch ehrlich. Wenn man von Jesus überhaupt nichts sicher wissen kann, wenn all unsere Vorstellungen von ihm nichts als Erfindungen kreativer Gläubiger sind, die ihn persönlich gar nicht kannten: dann kann ich ja genausogut irgendeinen Stein hernehmen und anbeten.

B: Erstens sollten wir unterscheiden zwischen »nicht wissenschaftlich beweisbar« und »überhaupt unwißbar«. Ich stelle mir vor, wie die radikalen Zweifler ziemlich blamiert dastehen, wenn das Jesusbild der Evangelien - nicht in jeder Einzelheit aber in großen Zügen - sich zuletzt, d.h. jenseits der Todesschwelle als stimmig herausstellt. Eins vergißt man beim Zweifeln meist: Daß alles nicht stimmt, wissen wir auch nicht!

Und zweitens zeig mir den Stein, den du anbeten kannst. Ich wette: du findest keinen. Du verwechselst die abstrakte Möglichkeit, daß irgendwer irgendeinen Stein anbetet, mit deiner konkret-existentiellen. Jene mag es geben (obwohl der Heide vermutlich nicht den Stein anbetet sondern anläßlich des Steins seinen Gott, ähnlich wie wir durch unsere Gottesbilder hindurch doch Gott selber meinen), du aber kannst das nicht wirklich. Dir ist dein Glaube zugemessen. Aus den unermeßlich vielen Offenbarungsgestalten, die das Absolute Geheimnis auf unserer Erde angenommen hat, paßt für dich nur eine. Mag sein, das verschwimmende, sich eben auflösende Christusbild, von dem du uns berichtest. Dann tust du gerade jenen Schritt hin zu geistlicher Mündigkeit, zu dem (als »dunkler Nacht der Seele« oder »Wolke des Nichtwissens« oder ähnlich) die großen Mystiker ermuntern. Verständlich, daß betulicher Trost dich nicht erreicht. Hat aber der Christus des Glaubens nicht genau das über sich als historischen Jesus seinen Freunden angekündigt? »Es ist gut für euch, daß ich fortgehe ... Sonst könnte der Geist nicht zu euch kommen ...«


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samt Geschichte dieses Begriffs und lustigem Stereo-Portrait

Schriftenverzeichnis

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