Jürgen Kuhlmann

Wider die Spaltung,
für die Spannung
der Konfessionen

Evangelisch der Mutter trauen,
katholisch dem Vater folgen,
humanistisch selber sein

Ökumenisches zum Thema: Rechtfertigungslehre


A) Anlässe

1) Am Vorabend der Augsburger Versöhnungsfeier wurde ich beim Spaziergang in Allenstein (einst Ostpreußen, jetzt Nordpolen, bald EU?) von jungen Christen gefragt, worum es da denn überhaupt gehe; eine kurze Antwort bitte! Ich wußte mir nicht besser zu helfen als mit dem Gegensatz mütterlicher und väterlicher Liebe: Während das Ungeborene in der Mutter (und der Vorfreude des mütterlichen Vaters) ohne alle Werke und eigenes Verdienst einfach sein darf, wird vom Heranwachsenden einiges verlangt, soll er vor dem kritischen Blick des Vaters (und der väterlichen Mutter) bestehen. Der göttlichen Gnade je neue und voraussetzungslose Mutterliebe wird von den Evangelischen bezeugt, Gottes fordernd-richtende Vaterliebe von den Katholischen. Die Spannung ist notwendig; wo sie fehlt, entsteht seelische Krankheit. Nur wenn unbedingt-warme und bedingt-kühle Liebe zusammenwirken, kann ein gesundes Ich entstehen. Die Erklärung fand Anklang, weil deutlich wurde: Der konfessionelle Gegensatz soll als Streit verschwinden und als Polarität bleiben.

2) Für einen Gesprächsabend am 15. November 1999 in St. Karl, Nürnberg, sei diese Idee ausgeführt.

B) Theologische Entfaltung

Weil Gott zum einen die LIEBE ist, zum andern drei-einig, deshalb besteht unser Heil
a) im Annehmen
b) im Mitleben
der drei innergöttlichen Liebesweisen, die sich ewig vollziehen, aber von uns - je zeitlich sich entschließenden Wesen - immer als vorher und nachher gedacht werden müssen (man stelle sich einen Rhythmus-Kreis aus sechs Takten vor, beginnend - gegen den Uhrzeiger - oben links, und mit dem Entschluß als seiner Mitte):

Die (1) ursprünglich schenkende [Bild: Madonna mit Kind] und (6) zuletzt tröstlich bergende [Bild: Pietá] mütterliche Huld IHRer, der Heiligen Ruach, Agape, Caritas, Gischt (das männliche Geschlecht des Hl.Geistes im Westen paßt schlecht).

Der (2) vorher beauftragende und (5) nachher beurteilende, richtende väterliche Anspruch DEINer, unseres Gottes und Herrn.

Die (3) vor dem Entschluß die eigenen Möglichkeiten erfassende und nach ihm (4) sich verwirklichende freie Selbstliebe MEINer, des göttlichen SINNes (Logos), der nicht nur in Jesus Mensch geworden ist sondern (als Haupt d.h. - damals unsagbar - das Ich seines Leibes, der Kirche) in jeder und jedem von uns Mensch werden will.

Dieser innergöttliche Rhythmus belebt - wenn wir uns nicht ungläubig sperren - auch unser innerstes Gemüt, und zwar, weil wir geschaffen je aktuell werden, nicht bloß irgendwann wurden, jeden Augenblick neu! Das ist die evangelische Rechtfertigungswahrheit: Der Mensch ist primär nicht das Ergebnis seiner Werke, Taten, Verdienste, sondern je neu der sich selbst geschenkte (Gottes Atmen, ES gibt mich!) Embryo voll unverbrauchter Würde, geborgen in der Ursprungshuld der Ewigen Liebe. Das hat Luther begeistert erfahren (freilich anders gesagt); diesen erlösenden Glauben gegen eine rechnende, das Volk mit Ablaßschacher ausbeutende Krämerkirche durchzusetzen war seine Sendung.

War sie erfolgreich? Ja, es gibt die evangelische Kirche. Doch war der Erfolg insofern zweideutig, als die einseitige Durchsetzung der mütterlichen Sinndimension (1/6) die anderen beiden göttlichen Sinnweisen zu gleichfalls einseitigem Trotz provozierte:

(2/5): Es gilt auch die väterlich-bedingte Liebe! Heute wird in allen katholischen Kirchen des Erdkreises Jesu Gleichnis von den Talenten (Mt 25,14-30) verkündet. Da legt der Herr sehr wohl Wert auf verdienstliche Werke (sogar auf Zinsen! Ist es am Ende gar kein Zufall, daß der Kapitalismus in der Christenheit entstand?) - dazu würde ich gern die Predigt eines jener deutschen Professoren hören, die protestantischerseits wider die gemeinsame Erklärung streiten! Als gute Christen sagen sie hoffentlich: Gute Werke sind zwar nicht die Ursache des Heils (sondern je die unverdienbare göttliche Gnade), dennoch braucht es gute Werke: als unverzichtbare Zeichen eines wirklichen Glaubens (der das Heil wahrhaft annimmt). Wer nicht gut, gar bewußt böse handelt, zeigt damit, daß er bisher nicht glaubt, (mag er den Glauben mit noch so viel leeren Worten beteuern), und endet (wenn er nicht doch noch glaubt) in Heulen und Zähneknirschen. Die treuen Knechte hingegen vollziehen den katholischen Sinn des Wortes »Rechtfertigung« und werden vom Herrn gelobt und belohnt. Deshalb ist auch der Jakobusbrief eben keine »stroherne Epistel«, sondern gültiges Gotteswort.

Warum werden aus notwendigen Sinn-Polaritäten aber lauter Widersprüche und Streitereien? Ich vermute: Weil der schwache, einlinig denkende Menschenverstand die drei-einig in sich gespannte Gotteswahrheit ebensowenig ausdrücken kann wie ein Lautsprecher das volle Stereo-Signal einer Symphonie. Auch da müssen mindestens zwei gegensätzliche Signalgeber zusammenwirken, damit aus der äußeren Dreiheit (Links, Mitte, Rechts) im Bewußtsein die reich gespannte Stereo-Fülle wird. Daß wir äußerlich weiterhin widereinander agieren, liegt auch, aber keineswegs nur an sündiger Rechthaberei und Herrschsucht. Der Schöpfer hat die Welt so gemacht, daß biologische und geistige Sinngestalten sich auf engem Raum um knappe Grundstoffe (dort chemischer, hier begrifflicher Natur) balgen müssen, damit vielfältiges Leben in allerlei Nischen entstehe. Solche haben ihren Ort und ihre Zeit.

Eine gewisse Art, wie die Ur-Protestanten ihre erlösende Gnadenerfahrung ausdrückten, dürfte z.B. ihre Zeit hinter sich haben. Daß Gott seine väterlich-strenge Liebe am Menschen Jesus so vernichtend-strafend »austobte«, daß wir übrigen Sünder alle in ihm, der »zur Sünde gemacht wurde« (2 Kor 5,21), schon mitgestraft und so »durch sein Blut erlöst« worden sind: diese Kombination von bedingter und unbedingter Liebe Gottes kann heute kaum ein schlichter Christ (und gar keine Christin!) mehr so empfinden. Mich schaudert es jedesmal, wenn im evangelischen Gottesdienst solch ein bluttriefendes Lied erklingt.

Ebensowenig vollziehe ich (Verehrer der ungeschaffenen LIEBE des göttlichen Atemhauchs) eine frühere katholische Gestalt der evangelischen Wahrheit: Da galt der Mann Christus als strenger Richter (Sistina!), während die Mutterhuld von Maria verkörpert wurde. Im Bamberger Gesangbuch hieß es (S. 601) noch bis zum Konzil im »Gebet zur Mutter Gottes von der immerwährenden Hilfe« (500 Tage Ablaß!): »O Mutter von der immerwährenden Hilfe, du bist die Ausspenderin aller Gnaden, die Gott uns Armseligen verleiht ... wenn du mir beistehst, fürchte ich nichts; es erschrecken mich nicht meine Sünden, weil du mir Verzeihung derselben erlangen wirst; ich fürchte nicht die höllischen Geister, weil du mächtiger bist als die ganze Hölle; ja ich fürchte selbst meinen Richrter Jesus Christus nicht, weil eine einzige Fürbitte, welche du für mich einlegst, ihn versöhnen wird.« Welch eine Steigerung! Ich verstehe den Christen, der sich mit Grausen empört. Dennoch: Wer es nicht schafft, in der katholischen Mutter Gottes die lebendige Ikone für die evangelische göttliche Gnade gelten zu lassen oder umgekehrt in der evangelischen Gewißheit der Erlösung am Kreuz dasselbe kindliche Urvertrauen wie im katholischen Gebet vor dem Marienaltar zu hoffen, ist ökumenisch nicht reif genug.

(3/4) Weitgehend außerhalb beider Kirchen wird die Wahrheit unserer göttlichen Ich-Dimension gelebt. Bei Frommen wie bei Esoterikern hat das Ego einen schlechten Stand. Deshalb findet Jesus bei den Seinen wenig Nachfolger seiner freien Selbstgewißheit: den Alten ist gesagt worden, ICH aber sage euch. Freilich war sein unbändiges Selbstvertrauen untrennbar vom kindlichen Urvertrauen in IHR, in der er gejubelt hat (Lk 10,21), und seiner unendlichen Hingabe an DICH, Gott, und deinen väterlich fordernden Willen. Wir sind nicht Jesus, dürfen aber in Christus hineinwachsen, in seiner vollkommenen Stereo-Einheit scheinbar unvereinbarster Gegensätze soll mehr und mehr auch unser inneres Leben bestehen.

C) Ergebnis

Das Zusammenspiel der drei Lieben, gegensätzlich und zugleich ineinander, wird dank irdischer Mutter-, Vater- und Selbstliebe von uns zuerst in der einen Richtung erfahren und später auch in der Gegenrichtung gelebt. So wird allgemein (wenngleich nie dem logikgierigen Verstand, so doch) jeder vernehmbereiten Vernunft einsehbar, daß und warum die drei christlichen Konfessionen Evangelisch, Katholisch und Emanzipiert-Modern als Gegensätze notwendig sind und friedlich zusammengehören. Wir sollten deshalb sowohl die Unterzeichner der gemeinsamen Erklärung achten als auch die ihr widerstrebenden »Schmollianer«, die Luther, und deren katholische Gegenstücke, die Trient in Gefahr fürchten. Recht haben beide: wer die tiefe Einheit beschwört und wer den bleibenden Gegensatz betont; beide können nicht hindern, daß sie in Gottes Geheimnis eigentlich dasselbe meinen, den geistigen Stereo-Vollzug, den die belebende Gegenwart göttlicher Polaritäten in endlichen Gemütern erzeugt. Sehe also jeder, wie er's treibe, auf welcher der bunt durcheinander wogenden Fronten er sich heute und morgen finde, und wer steht, daß er - und sie - nicht falle. Augustinus hat recht: Ama et quod vis fac. Liebe! und was du willst, tu.

Nürnberg, 14. November 1999

Predigt über die drei Lieben

Geschenk in beiden Händen

Volle Internet-Adresse dieser Seite: http://www.stereo-denken.de/evkamuva.htm

Zurück zur Leitseite von Jürgen Kuhlmann

Siehe auch des Verfassers Predigtkorb auf dem katholischen Server www.kath.de

Kommentare bitte an Jürgen Kuhlmann