Jürgen Kuhlmann

Jocki und der Innenseher,
ein kompliziertes Kinderbuch

Eine Abenteuergeschichte
für das Kind
im Mann und in der Frau


1


Der neue Freund

Rrrrr, läutet es zur großen Pause; im Nu ist der Schulhof voller Kinder. Um Ludwig und Peter steht schnell eine neugierige Gruppe herum. Es ist immer so lustig, wenn die beiden sich streiten. Und da geht es auch schon wieder los. "Hör mir bloß mit deinem blöden Gott auf", spottet Ludwig, "ich sage dir, den gibt es überhaupt nicht. Mein Vater weiß das ganz genau."

"So? Woher denn? War er vielleicht schon überall im Himmel und hat nichts gefunden? Du Idiot, ihr habt ja keine Ahnung. Ich verstehe nicht, warum Gott so etwas wie dich gemacht hat." "Da kann ich dich beruhigen. Hat er gar nicht, weil es ihn nämlich nicht gibt! Er ist bloß eine Einbildung von solchen Schwachköpfen wie du einer bist." "Jetzt reichts mir aber. Mit dir kann man ja nicht reden. Komm her, dann zeig ich dir, wer stärker ist." "Das kannst du haben." Und sie stürzen mit den Fäusten aufeinander los.

Manche Mädchen gehen weg; sie können diese Prügelei nicht mit ansehen. Denn auf einmal ist es kein Spaß mehr, kein normales Geraufe zwischen Buben. Alle spüren: die beiden meinen es ernst; bitter und böse starrt einer den anderen an. Könnte die Lehrerin es miterleben, dann bekäme sie einen Schreck; Bilder aus früheren Zeiten fielen ihr ein: wie auf dem Blumenmarkt in Rom ein Mann sich in den Flammen windet und endlich im Rauch erstickt; eine Menge Priester stehen herum und gehen dann zufrieden nach Hause: denn dieser Bruno ist gegen Gott gewesen, recht geschieht es ihm. Das war im Februar des Jahres 1600. Oder die Lehrerin würde daran denken, wie so mancher Gläubige gegen die Wand gestellt und erschossen wurde, bloß weil er für Gott war, und so etwas gehört ausgerottet. Das war in den Monaten der russischen Revolution von 1917. Den gleichen Haß wie damals, natürlich in kindlicher Form, könnte die Lehrerin in den Blicken der Buben entdecken, aber sie sieht nicht her.

Da passiert eine Überraschung. Einer aus dem Kreis der Neugierigen kann den Streit nicht länger aushalten, ausgerechnet der Neue, er heißt Friedrich Weiß und ist erst seit ein paar Tagen in der Klasse. Er geht in die Mitte, packt die Kampfhähne und sagt: "Hört auf, ihr spinnt ja alle beide. Weil ihr nämlich beide recht habt." "Was?" schreien die beiden anderen. "Jawohl. Und es ist ganz egal, wie jemand über Gott denkt. Also vertragt euch." Peter und Ludwig gucken sich an, dann fängt erst der eine, dann auch der andere zu grinsen an. "Ei, ist der Fritz aber gescheit," höhnt Ludwig. Und Peter sagt: "Also gut, hören wir vorläufig auf, und bestrafen zuerst das Großmaul da. Es ist egal, wie man über Gott denkt? So ein Quatsch!" "Ja, das ist wirklich der allergrößte Blödsinn", stimmt Ludwig ihm zu, "also los!" Und mit vereinten Kräften fallen beide über Friedrich her. Die Kinder ringsherum fangen zu lachen an. Warum muß dieser komische Fritz sich auch einmischen? Der hat sich inzwischen von der ersten Überraschung erholt. "Haut ab, ihr Schufte" schreit er wütend und boxt einen der Angreifer auf die Nase. Aber sie sind ihm über, gegen beide zusammen kommt er nicht an. "Ihr gemeinen Kerle," ruft der Neue. "Schämt ihr euch gar nicht, zwei gegen einen!" Aber das hilft ihm nichts. Im Gegenteil, einer schlägt ihm sogar in den Magen.

Da hält Jocki es nicht mehr aus. Sicher, ihm kommt der Neue auch komisch vor. Aber so gemein darf man doch nicht sein. Er springt hin und stößt den feigen Magenboxer auf die Seite. Zwei gegen zwei, das ist etwas anderes. Eine solche Rauferei macht Spaß. Doch wie es gerade richtig losgehen soll, läutet leider die Glocke. Die Pause ist vorbei.

Während alle Kinder in ihre Zimmer zurückgehen, sagt Friedrich: "Danke, Jocki, daß du mir geholfen hast." "Ist doch klar," antwortet Jocki, "zwei gegen einen ist gemein." Friedrich denkt eine Zeitlang nach und schlägt dann vor: "Weißt du was, Jocki, komm doch heute nach der Schule mit mir in unser Haus. Ich lade dich ein. Magst du nicht auch meine Eltern kennenlernen?" "Das schon. Aber ich muß in den Hort." "Ach was, wir rufen einfach deinen Vater an und fragen ihn." "Ja, das geht."

Wie Jocki wieder in seiner Bank sitzt, hört er gar nicht recht zu, was die Lehrerin alles erzählt. Die Maikäfer sollen leben wie sie wollen, denkt er, mir ist das egal. Aber wie kommt es, daß ich so lustig bin auf einmal? Warum freue ich mich eigentlich? Im nächsten Moment weiß er es. Es ist ihm gerade so, als hätte er einen Kopfsprung ins frische Wasser gemacht, und das Wasser heißt: Glück. Ein richtiger Freund! Den hatte er sich so sehr gewünscht. Dieser Neue mit dem ulkigen Namen Friedrich - könnte der vielleicht sein Freund werden?

Jocki erinnert sich, wie es neulich gewesen ist. Mitten in der Stunde hat der Rektor ihn gebracht. "Frau Kreidebeiß", hat er gesagt, "ich übergebe Ihnen da einen neuen Schüler. Die Familie ist erst gestern in unsere Stadt gezogen. Nun, Friedrich, ich glaube, es wird dir in dieser Klasse gefallen." Wie der Rektor wieder gegangen war, hat die Lehrerin den Neuen nach seinem Namen gefragt. "Friedrich Weiß." "Also Fritz, setz dich bitte auf den leeren Platz dort drüben." "Ja, gern, aber ich heiße nicht Fritz, sondern Friedrich." Darauf hat die ganze Klasse natürlich laut gelacht. Und die meisten haben ihn seither erst recht Fritz genannt. Das hat den Neuen aufgeregt und so ist es oft zum Streit gekommen. Dem armen Fritz ist es schlecht gegangen, am schlimmsten eben gerade in der Pause. Aber jetzt ist das ja vorbei. Jetzt sind ich und Fritz, nein, ich und Friedrich Freunde geworden und ich will - "Jocki, du träumst schon wieder. Was haben wir eben gelernt?" Wie soll Jocki wissen, was die Maikäfer gerade treiben? Er hat Wichtigeres zu bedenken. Also sitzt er nur da und sagt kein Wort. Trotzdem geht die Welt nicht unter, nicht einmal das Schulhaus stürzt ein, und sogar Frau Kreidebeiß bleibt am Leben und gesund. Andere Kinder haben aufgepaßt und melden sich eifrig; weiter geht der Unterricht, viele lästige Minuten lang.

Endlich aber ist er doch zu Ende. Unsere beiden Freunde rennen die Treppe hinunter und sehen, wie vor ihnen ein paar Große schon auf dem Weg zum Telefonhäuschen sind. Schnell spurten sie an denen vorbei, müssen aber dann doch warten, weil eine ältere Dame ein langes Gespräch führt. Draußen angebunden ist eine Art Hund. "Guten Tag, mein Herr," sagt Jocki in der Hundesprache zu ihm. Das Pudelchen bellt zurück. "Mal sehen, ob er auch englisch kann," meint Friedrich und sagt höflich: "Miau, miau." Das ärgert den Kleinen, offenbar hat er noch kein europäisches Bewußtsein. Wütend kläfft er los, so daß die Dame ihr wichtiges Gespräch vorzeitig abbricht und gleich aus dem Häuschen ist. Drinnen hört man ihr Geschimpfe kaum mehr. Jocki wählt die Büronummer seines Vaters und erklärt ihm seinen Wunsch; der Vater erlaubt ihn gern. (Er ist schon lange traurig, daß Jocki keinen Freund hat; davon weiß Jocki aber nichts). Jetzt noch schnell im Hort Bescheid gesagt, und schon sind die beiden unterwegs zum Haus der Familie Weiß.


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