Jürgen Kuhlmann

Jocki und der Innenseher
Eine Abenteuergeschichte
für das Kind
im Mann und in der Frau


3


Die Geschichte des Innensehers

Endlich ist es wieder Mittwoch geworden. Schon in der Früh' hüpft Jocki erwartungsvoll aus dem Bett, ganz anders, als er es sonst gewohnt ist. Ein Blick aus dem Fenster Wetter schlecht. Macht nichts.

Auch bei grauem Himmel vergehen die Stunden und so sitzt Jocki jetzt schon mit Frau Weiß und ihren drei Kindern um den Tisch im blau-orangen Zimmer herum. In der Mitte steht ein großer Quarkauflauf. Was werden sie wohl diesmal beten, denkt Jocki, da fragt die Mutter auch schon Was ist heute für ein Tag? Ein gelber, bekommt sie dreistimmig zur Antwort, und überrascht steht Jocki auf. Warum? Ganz einfach, weil die anderen auch aufgestanden sind. Alle kehren sich mit gefalteten Händen dem schönen alten Jesus-Bild zu, das an einer Wand hängt, und Annemarie betet vor

O Gott, von dem wir alles haben,
wir preisen Dich für Deine Gaben,
Du speisest uns, weil Du uns liebst,
o segne auch, was Du uns gibst.

Amen, sagen alle, und Jocki denkt sieh mal an, wir zu Hause haben also immer gelb gebetet und es gar nicht gewußt. Wenn ich das meinem Vater erzähle, lacht er sich schief. Und jetzt muß ich schauen, wie ich von dem labbrigen Zeug da satt werde. Man muß nämlich wissen, daß Jocki keine Mehlspeisen mag. Er ist mehr für kräftiges Fleisch. Doch wie man dann vom leergegessenen Tisch aufsteht, muß er widerwillig zugeben, daß er erstens satt und zweitens mit dem Geschmack des Auflaufs zufrieden ist. Wie sagt doch Tante Petra immer mit süßlich verzogenem Gesicht, wenn man ihre steinharten Spezialpasteten trotzdem lobt Ja, ja Kinder, der Ton macht die Musik und das Gewürz die Speise. Frau Weiß versteht offenbar wirklich etwas vom Würzen.

Auch das gelbe Dankgebet kann Jocki mitsprechen

Dir sei, o Gott, für Speis' und Trank,
für alles Gute Lob und Dank!
Du gabst, Du wirst auch ferner geben,
Dich preise unser ganzes Leben!

So, Jocki, jetzt gehen wir hinauf ins Denkzimmer. Friedrich zieht ihn mit sich und erklärt ihm noch auf der Treppe Weißt du, ich habe meinen Vater gefragt, wie ich dir das mit den Farben am besten erklären soll. Da hat er mir ein paar Gedankenbänder herausgesucht, die soll ich dir vorspielen. Gedankenbänder? fragt Jocki, was ist denn das? Etwas Ähnliches wie Tonbänder. Wenn der Innenseher läuft, kann man die Gedanken auf einem Band aufnehmen und später wieder abspielen. Paß auf. Inzwischen stehen sie schon vor dem Gerät. Obenauf liegen zwei Spulen, die wie Tonbänder aussehen. Friedrich nimmt sie in die Hand und zeigt Jocki, was auf der einen geschrieben steht, nämlich Jocki. Hast du vielleicht neulich - Jocki kann gar nicht weiterreden vor Aufregung. Friedrich nickt. Mach dir nichts draus, sagt er ruhig. Natürlich habe ich es niemandem vorgespielt. Deine Gedanken gehen nur dich etwas an. Da schau. Und schon sieht Jocki wieder sich unten am Tisch sitzen und das Hähnchen essen. Dann kommt Cassius Clay und fällt um. Das ist die Schirmwiedergabe, sagt Friedrich, möchtest du es auch einmal direkt übertragen haben? Was? Da setz dich her. So. Jetzt spule ich das Band zurück. So. Jetzt setz den Helm auf. So. Und jetzt mach die Augen zu und erschrick nicht.

Jocki will gerade denken, nein, das ist mir zu gefährlich - aber er kommt nicht mehr dazu. Plötzlich ist er allein. Er sitzt an einem weißgedeckten Tisch und hat furchtbaren Hunger. Und was steht da vor ihm? Ei, ist das ein wunderbares Hähnchen. Das Wasser läuft ihm im Mund zusammen und er will gerade zulangen, da ist auf einmal der Tisch mitsamt dem Hähnchen verschwunden. Aber ui, was bewegt sich denn dort? Jocki erschrickt furchtbar. Ein Riese, ein ungeheurer Neger steht keine drei Schritte von ihm entfernt und starrt ihm wild ins Gesicht. Da, was passiert jetzt? Dem Mann geht es anscheinend nicht gut, er kommt ins Wanken, und Jocki muß hilflos zuschauen, wie der gewaltige Körper krachend zu Boden stürzt, zum Glück nicht auf ihn, sondern etwa einen Meter daneben. Was soll ich nur tun, denkt Jocki, da ist auch der Neger verschwunden. - und wie aus weiter Ferne dringt Friedrichs Stimme zu ihm Na, was sagst du dazu?

Jocki sagt gar nichts. Er muß sich erst erholen. Nach einiger Zeit bringt er heraus: Mensch. Dann nimmt er den Helm ab und staunt Das ist ja viel echter als in einem Traum! Freilich, belehrt Friedrich ihn,in den Apparat ist natürlich ein Verstärker eingebaut. Du brauchst etwas bloß ganz schwach zu denken, bei der direkten Wiedergabe spürst du es dann trotzdem wahnsinnig stark. Das ist gerade so, wie wenn du bei einer Tonband-Aufnahme erst leise in das Mikrofon flüsterst und dann bei der Wiedergabe voll aufdrehst.

Ja ist das denn nicht gefährlich? Stell dir vor, jemand hat sich ausgedacht, wie er von einem Löwen aufgefressen wird. Und einem anderen wird das jetzt eingedacht, so wie mir eben das Hähnchen und der Neger. Kann es da nicht passieren, daß der vor Angst einen Herzschlag bekommt und stirbt? Allerdings. Ganz am Anfang, wie mein Vater das Gerät eben erfunden hatte, da war in dem Labor, wo er arbeitete, eine Spionin. Aus welchem Land? Nicht aus einem fremden Land. Sondern von einer anderen Firma. Ach so. Die wollten eure Erfindung klauen und damit selber Geld verdienen. Genau. Diese Spionin hatte sich als Putzfrau verkleidet und kam immer nach Arbeitsschluß zum Aufräumen mit einem Eimer und einem großen Schrubber. Hinterher hat man in dem Schrubberstiel lauter Filmrollen gefunden. Wie alle Techniker fort sind, hat sie zuerst ein bißchen geputzt und dann im Labor herumgeschnüffelt. Dabei fand sie auch den Innenseher. Mutig war sie, die Spionin. Sie setzte sich den Helm auf und drückte die Starttaste. Ein paar Stunden später hat der Nachtwächter sie gefunden. Ihre Augen waren vor Schreck weit aufgerissen, den Helm hatte sie immer noch auf. Das Band hatte sich am Ende automatisch abgeschaltet. Man hat nie herausgekriegt, bei welchem Erlebnis sie vor Schreck gestorben ist. Furchtbar. Was war denn auf dem Band? Das hat mein Vater mir nie erzählt. Es war ein gewöhnliches Probeband, er hatte es selber vollgedacht. Von Mutti weiß ich aber, daß er damals wegen der schwierigen Erfinderei schrecklich nervös war und zur Erholung immer die grauslichsten alten Gespenstergeschichten gelesen hat, die er auftreiben konnte. Ich fürchte, die arme Spionin hat keinen schönen Tod gehabt.

Brrr. Jocki schüttelt sich voll Entsetzen. Sodann kommt ihm ein Gedanke. Bewundernd schaut er Friedrich an und fragt Daß so etwas Gefährliches nicht überhaupt verboten ist? Was man damit alles anstellen kann! Ist es ja auch, sagt Friedrich. Das heißt nicht eigentlich verboten. Sondern mein Vater hat rechtzeitig bemerkt, wie gefährlich das Ding ist. Da hat er sich überlegt: und wenn es einmal einer Verbrecherbande in die Hände fällt, vielleicht sogar einer solchen, die irgendwo in einem Land an der Macht ist und sich Regierung nennt, was dann? Dann wird bestimmt aus meiner Erfindung eine fürchterliche Foltermaschine gemacht. Daran will ich nicht schuld sein. Richtig erschrocken ist er. Hat sich gleich mit meiner Mutter besprochen und zusammen haben sie dann das Heft verbrannt, wo die Erfindung drin stand. Mutti erzählt, daß mein Vater dabei sogar geweint hat. Das kann ich mir vorstellen. Menschenskind, ein solches Opfer! Millionär wäre dein Vater geworden, jedes Schulkind auf der Erde hätte seinen Namen lernen müssen. Auf alles das hat er freiwillig verzichtet, und dazu sicher noch Krach mit seiner Firma gekriegt. Da kannst du einen Molotow-Cocktail darauf trinken. Mann, haben die geschimpft und getobt. Aber was wollten sie machen? Sie brauchen ihn ja auch noch für andere Sachen. Jedenfalls ist das hier der einzige Innenseher auf der ganzen Welt. Toll. Aber etwas begreife ich nicht. Der Apparat funktioniert doch, warum hat ihm die Firma den überhaupt gegeben? Sie hätten ihn doch auseinandernehmen und untersuchen können. Meinst du. Aber so schlau war mein Vater auch. Bevor er seinem Chef die Sache mit dem Heft erzählte, hat er den Apparat durcheinander gebracht, so daß nichts mehr funktionierte. Niemand sonst kannte sich damit aus, darum hat er ihn am Ende mitnehmen dürfen und zu Hause wieder repariert. Aha. Und wenn ich jetzt doch jemand davon erzähle? Das wirst du nicht tun. Du bist ja mein Freund. Richtig.


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