Jürgen Kuhlmann

Heil nur durch Jesus?

Wie in die Urkirche fühle ich mich zurückversetzt an diesem Abend. Junge Leute einer freikirchlichen Basisgemeinde haben mich zu ihrem Gottesdienst eingeladen. Da sitzen wir im Kreis, singen und beten, werfen auf den Herrn und die Gemeinde unsere Sorgen, unser Versagen, sind seiner ganz persönlichen Führung hell gewiß. Es ist eine Freude dabeizusein; mein mittäglicher Glaube saugt neuen Schwung aus solch morgendlichem Grün.

Nach dem Beten führen wir ein Glaubensgespräch. Verschieden sind die Perspektiven, harmonisieren aber miteinander, jeder Beitrag wird von allen akzeptiert. Bis wir auf einmal bei der Frage der fremden Religionen stehen. Ich erzähle von Begegnungen mit Hindus und Buddhisten und von meiner Hoffnung, auch sie seien, obwohl keine Christen, des göttlichen Heilslichtes teilhaft. Plötzlich durchschneiden Widersprüche den Raum, das geistliche Gespräch verkehrt sich zur Diskussion. Wenig hilft es, daß ich auf den Johannesprolog verweise, wo es vom ewigen Wort heißt, daß es "jeden Menschen erleuchtet, der in diese Welt kommt". Mich auf das Zweite Vatikanische Konzil zu berufen kommt mir erst gar nicht in den Sinn - wir sind ja in der Urkirche. Hätte ich - so wendet man ein - mit meiner freigeistigen Meinung recht, dann wäre der christliche Missionsauftrag sinnlos. Und schon hält mir einer Jesu harten Ausspruch entgegen: "Keiner kommt zum Vater außer durch mich." (Jo 14, 6)

Was soll ich sagen? So steht es in der Bibel, zweifellos. Und am Wort des Herrn zu zweifeln, dessen Bei-uns-Sein wir gerade so tröstlich erfahren dürfen, ist auch mir unmöglich. Im Glauben an die Wahrheit dieses Anspruchs sind wir eins. Können wir es auch im Verständnis werden? Daß die Jungen ihr eigenes Verständnis kritiklos für den Glauben selbst nehmen, stört mich wenig, dafür sind sie jung. Wenn sie, nicht ohne sanfte Spitze, sich selbst und dem Herrn beteuern, sie wollten sich durch keinerlei Menschenwort von seinem Wort abbringen lassen, dann schließe ich mich diesem Gebet von Herzen an. Wie ist jener Satz des Johannesevangeliums aber zu verstehen, daß ihn auch die erwachsene Kirche ohne Arroganz vor den Völkern der einen Welt bekennen kann?

Die Frage hat sich mir bisher noch nie so scharf gestellt. Zur Antwort könnte ein Exeget darauf hinweisen, daß Jesu Satz ja in einem Gespräch mit bestimmten Menschen gesprochen sei und also eigentlich meine: niemand von euch kommt zum Vater außer durch mich. Doch ist dieser Ausweg mir heute verschlossen. Einen Satz des Herrn so auszulegen, daß er inhaltlich verändert wird, das würden meine Partner als ungläubig-anmaßende Kritik empfinden. In diesem Kreis besteht man auf dem unverfälschten Wortlaut der Bibel - weil man oft genug erfahren hat, wie der sich mehr bewährt als alle "Verwässerungen" der sogenannten wissenschaftlichen Theologie.

Gott sei Dank fällt mir rechtzeitig ein anderer Weg ein, und statt auf die schlüpfrigen Pfade der Hermeneutik versuche ich, diese jungen Christen tiefer hinein ins Glaubensgeheimnis zu leiten. Wer ist es denn, der da sagt: keiner kommt zum Vater außer durch mich? Ist es, wie jeder von uns, eine umgrenzte Person, irgendwann aus dem Nichts ins zeitliche Sein geschaffen? Nein. Der so spricht, ist der "Logos", das heißt der Sinn der Welt, in Person. Derselbe, der den Juden ein andermal zurief: "Ehe Abraham ward, bin ich." (Jo 8, 58) Es geht also nicht darum, dem Satz etwas einzufügen oder wegzunehmen - wohl aber braucht, wer ihn recht verstehen will, dazu einige Denkmühe.

Denn das Wort "mich" ist schon im Alltag überaus zweideutig. Heute erzählt das Mädchen: eine Biene hat mich in die Backe gestochen - und gestern hatte sie den Freund gefragt: liebst du nur mein Gesicht, oder wirklich mich? Ich könnte mir eine tiefsinnige Sprache denken, wo es für unser Wort "mich" zwei Ausdrücke gäbe, je nachdem, ob irgendein Teil der Natur gemeint ist oder der Kern der Person. Eine solche Sprache ist aber weder unsere deutsche noch das Griechisch der Bibel.

Folglich müssen wir, wo das Wort "mich" vorkommt, zum rechten Verständnis erst fragen, ob es hier um eine bestimmte Natur gehe oder um die Person selbst. Wenn nun Jesus sagt: Keiner kommt zum Vater außer durch mich, dann bin ich überzeugt: er meint mit "mich" hier eindeutig sich selbst als (göttliche!) Person, nicht aber notwendig seine bestimmte menschliche Natur von damals, jene jüdische Individualität um das Jahr 30 herum. Denn die haben auch Abraham und Moses nicht gekannt und lebten doch gewiß in Gottes Heil.

So verstanden, wird Jesu Ausspruch zwar den glaubenden Christen tief berühren und zur Mission ermuntern. Ist es nicht wundervoll, daß der ewige Sinn des Ganzen in einem bestimmten Menschen, Jesus unserem Bruder und Herrn, Fleisch angenommen hat und einer von uns geworden ist? Diese ungeheure Geschichte muß ich doch einfach weitererzählen. Doch kann aus dem recht verstandenen Absolutheitsanspruch Christi keiner mehr etwas gegen die Heilsmöglichkeit derer folgern, die ihn (im Fleisch) nicht kennen oder falsch kennengelernt haben (zum Beispiel heißen westliche Sexfilme in Indien "christian pictures", "christliche" Filme ...). Denn daß keiner zu Gott kommt, ohne sich nach dem Sinn des Ganzen zu richten, so wie sein Gewissen ihm den Sinn zeigt, das ist sonnenklar.

Während ich dem Jugendkreis diese Deutung vorlege, spüre ich bei den einen erleichterte Zustimmung, bei einigen Zweifel, bei einem fast so etwas wie die Wut des blinden Eifers. Oder ist es nur der begreifliche Schmerz dessen, dem ein enges Hemd von der Haut gerissen wird, das dank manch edlen Schweißes fest am Körper klebt? Herr, hilf Deiner Kirche immer wieder, daß sie weder zur Sekte einschrumpft noch zum Debattierklub sich auflöst, sondern Dein bleibt: der gesellschaftliche Leib, den Du, der in Jesus erschienene Sinn des Ganzen, Dir Tag um Tag neu bereitest.

Veröffentlicht in "Christ in der Gegenwart" vom 1. November 1981, S. 361

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