Jürgen Kuhlmann

Dein Name oder kein Name
oder alle Namen?


Kleine Rückschau auf spannende ReVisionen

Mit Raimon Panikkar auf Burg Rothenfels im Mai 1999

Das waren zwei paradiesische Tage auf einer Insel der Seligen - erst bei der Heimkehr erfuhr ich von den Belgrader Bomben auf die chinesische Botschaft ...

ReVisionen - unter dieser Überschrift stand vom 7. bis 9. Mai 1999 eine Tagung auf Burg Rothenfels. Zur Feier seines 61. Geburtstages hatte Burgpfarrer Gotthard Fuchs zusammen mit vielen anderen Weggefährten auch einen Pionier der ökumenischen Bewegung der Religionen zum Gespräch geladen. Vor 38 Jahren hatte Raimon Panikkar, Sohn eines Inders und einer Katalanin, zu mir gesagt: »Ich bin Hindu und katholischer Priester.«. Nunmehr achtzigjährig, zeigte er sich feuriger und jünger als je. Es war eine Lust, ihn vor der Messe mit den Kindern herumalbern zu sehen.

Wie jeder Tagungsteilnehmer weiß, ist es unmöglich, die Fülle der umherschwirrenden Gedanken ordentlich mitzuteilen. Formal gefiel mir besonders ein bisher nie erlebter Ritus: Beim Podiumsgespräch der Experten blieben für das Volk zwei Stühle frei; wer wollte, setzte sich dorthin und sagte das Seine. Dies sei zur Nachahmung empfohlen.

Hier einige bedenkenswerte Sätze von Don Raimon: »Theologie ohne Philosophie ist Aberglaube, Philosophie ohne Theologie ist belanglos« (weil sie zu den Themen Lebenssinn und Tod nichts Entscheidendes zu sagen hat). Außerhalb der Kirche kein Heil? Aber ja: »Wo immer Heil geschieht, ist Kirche, sei es in einer Moschee, sei es in einer Familie.« Schluß mit der Monopolisierung der Wahrheit.: »Daß du deine Mutter liebst, will nicht heißen, daß die Mütter der anderen schlecht sind, weniger gut oder intelligent.« Schlimm ist der westliche Wahn, jede Wahrheit müsse sich universalisieren lassen: »Wahrheit ist immer relativ. Wahrheit ist Beziehung. Wenn ich sie aus der Beziehung herausziehe, dann ist sie nichts.« Tröstlicher Rat an Gehetzte: »Wie man ohne Schlaf nicht leben kann, so auch nicht ohne Meditation. Sein, nichts wollen. Nichts zu denken ist eine Kunstfertigkeit, überlassen Sie das den Experten.«

Auf den Mond weist Buddhas Finger. »Den muß ich schnell vergessen und in der Richtung des Fingers auf den Mond schauen. Dogmen sind Finger, die uns auf das Mysterium hinweisen, seit zweitausend Jahren. Mittlerweile ist der Mond nicht mehr da. Der Prophet muß die Freiheit haben, den Finger zu ändern.« Wozu Dialog? »Du läßt mich sagen, was ich noch nicht gedacht hatte.« Grenzen müssen sein, ein Mischmasch von Traditionen taugt nichts. Mauern aber sollen wir zerbrechen: »Wenn irgendeine Religion geschmäht wird und ich fühle mich nicht beleidigt, habe ich mich schon von einem Teil der Menschheit getrennt.«

Gegen Schluß der Tagung kam es zu einem scharfen aber »liebenden Streit«: Thomas Ruster wandte sich gegen Panikkars Anrede an »Gott, der Du keinen Namen hast und unter vielen Namen angebetet wirst«. Gottes Volk kennt Seinen Namen. Darf ein Mann zu seiner Frau sagen: »Ich kenne deinen Namen nicht, aber ich verehre dich in allen Frauen, die mir begegnen« ? Gott hat uns Seinen Namen offenbart, Juden und Christen sind das Volk des Bundes, wir dürfen Gott nicht verwechseln.

Panikkars Antwort: Daß Gott für uns einen Namen hat, ist großartig. Die Gültigkeit einer Religion bedeutet aber nicht die Ungültigkeit anderer. Es gibt die Erfahrung der Unvereinbarkeit menschlicher Erfahrungen. Die abrahamische Tradition sucht die Differenz, für sie ist Gott kein Geschöpf. Der indische Geist sucht dasselbe Mysterium, aber nicht die Differenz, sondern die Identität. Beide gehören zusammen. [Vgl. mein Finger-Mysterium. ]

Einwand von Ruth Ahl: Sein griechisches Kleid darf das Christentum vielleicht ablegen, die Wurzel Israel gehört für immer zu ihm. Jesus ist ein Jude gewesen. Darauf Panikkar: Gewiß. Aber die Beschneidung war im Judentum keine klinische Operation, vielmehr das Ursakrament des Bundes. Trotzdem hat die Urkirche, nach schweren Kämpfen, auf sie verzichtet. »Und jetzt wollen wir die Christen im Kopf beschneiden. Und haben sogar in der Taufe einen Ersatz der Beschneidung gemacht, was nicht der Sinn war noch ist.«

Ich glaube: Die urchristliche Spannung zwischen Judenchristen und Heidenchristen ist nicht überholt, sondern gehört in stets neuer Gestalt für immer zur Kirche. Ich vermute: Sie ist ein Teil des trinitarischen Wasserzeichens aller Gotteswerke. Der »Judenchrist« weiß sich von Gott auserwählt, persönlich angesprochen und sagt »DU« zu Gott dem Vater, der ihm Seinen Namen genannt hat. Namenlos »ICH« zu Christus in uns sagt kosmisch-bunt der westliche Humanist, mystisch-einfach der indische A-dvaita-Selbstvollzug. »EINS« im Heiligen Geist fühlt sich kosmisch das esoterisch-begeisterte, mystisch das Zen-buddhistisch meditierende Gemüt. Von der judenchristlichen Personbeziehung zu Gott her gesehen erscheinen (innerhalb der Kirche) alle übrigen Weisen als heidenchristlich. Ihren Frieden kann, weil das dreieinige Geheimnis unbegreiflich ist, mit dem Verstand niemand einsehen. Er bleibt aber der glaubenden Vernunft als möglich ahnbar und zu leben aufgetragen. Er läßt sich mitten in jeder christlichen Auseinandersetzung immer wieder neu erfahren.

Mai 1999


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