Jürgen Kuhlmann

Der Würfel des Heils


1


Einleitung:Es braucht ein Trinitätssymbol, das uns einbezieht.

"Nichts ist in der Vernunft, was nicht vorher sinnlich gewesen wäre," aus diesem alten Grundsatz des philosophischen common sense folgere ich: Etwas einmal Verstandenes bleibt sicherer in der Vernunft, wenn es sich ein sinnliches Symbol schafft.

Die Dreieinigkeitswahrheit hat sich der christlichen Vernunft so erschlossen, daß ursprüngliche, scheinbar jedoch widersprüchliche Glaubenserfahrungen in jahrtausendelanger Denkmühe bearbeitet wurden, bis ihre Vereinbarkeit - zwar nicht begriffen wurde; denn ein Glaubensgeheimnis begreifen kann unser Verstand nicht, aber doch - geahnt werden konnte. Gott ist einer - Jesus betet zu Gott seinem Vater - in Jesus ist Gott selbst bei uns - jeder dieser Sätze drückt eine Grunderfahrung aus, an der schon die ersten Jünger nicht zweifeln konnten; als Körner in die menschliche Verstandesmühle geschüttet, mußten sie zum Begriff "relatio subsistens" (in sich schwingende Beziehung) führen; denn nur wenn Christi Person sich auf die Person des Vaters innerhalb des einzigen göttlichen Bewußtseins bezieht, können die drei Sätze miteinander wahr sein. Ähnlich, nur noch dunkler, verwickelter und minder abgeschlossen ist die Frage nach dem Verständnis des Heiligen Geistes.

Doch konnte nicht jede Generation diesen schwierigen Denkweg von den Erfahrungen zu dem Begriff, der ihre Zusammengehörigkeit ahnbar macht, je neu für sich bewältigen. Sobald das Dogma seine Sprachform gefunden hatte, wurde es autoritativ verkündet und liturgisch gefeiert, fand aber zusehends weniger Verständnis, bis heute. Das liegt, meine ich, auch am Mangel eines sinnlich faßbaren Symbols, das die Dreieinigkeit als tiefsten Grund des Seins erlebbar werden läßt, welcher uns deshalb selbst innerlich betrifft. Es gilt einzusehen: Nicht um die Sonderexistenz Hoher Herrschaften geht es bei der Rede von den drei göttlichen "Personen", nicht sind sie im Himmel wie irgendein Milliardärsklüngel zum Urlaub in der Südsee. Sondern gerade das, was wir Menschen Tag um Tag sind - oder sein könnten, sollten, möchten - eben unser menschliches Sein ist zugleich eines und zugleich dreifach gespannt. Das kann gar nicht anders sein; denn in Gott "leben wir, bewegen wir uns und sind wir" (Apg 17,28).

Der Würfel

Hinweise in der christlichen Tradition

Als ein hilfreiches Trinitätssymbol hat sich mir, aufregend und tief beruhigend zugleich, der Würfel gezeigt. Das klingt überraschend; in den Lehrbüchern der Dogmengeschichte kommt er nicht vor. Doch ist die Idee der christlichen Tradition nicht fremd.

a) Auf den letzten Seiten der Bibel beschreibt der Seher die heilige Stadt der Endzeit, Symbol jenes Heilsraumes, in welchem das erlöste Leben geschieht, jetzt verborgen DANN offenbar. Wir erfahren: "Und der mit mir redete, hatte ein Maß - ein goldenes Rohr -, daß er messe die Stadt und ihre Tore und ihre Mauer. Und die Stadt ist als Viereck angelegt, ihre Länge so groß wie die Breite. Und er maß die Stadt mit dem Rohr: zwölftausend Stadien. Ihre Länge und Breite und Höhe sind gleich" (Offb 21,16). Seltsamer Text. Wieso Höhe? Sie hat schon im Altertum manchen Schreiber so irritiert, daß er sie wegließ. Doch ist ihre Angabe echt; wer hätte sie später erfunden? Also scheint bereits das biblische Neue Jerusalem - ein Würfel!

b) Um 850 lebte am französischen Hofe Karls des Kahlen der Ire Johannes Scotus Eriugena. Dieser bedeutendste europäische Denker dreier Jahrhunderte ordnet in seinen "Abhandlungen über die himmlische Hierarchie" des Pseudo-Dionysius die drei Engelhierarchien so an, daß sie einen "perfectissimus cubus" ergeben (6,168). Über ihn heißt es dann: "Daraus sollst du verstehen, daß die himmlischen Wesenheiten nichts anderes sind als Epiphanien und Theophanien der Höchsten und Heiligsten Dreieinigkeit, die sie verkünden" (6,180). Das Bild ist klar da, wird aber noch nicht ausgeführt.

c) Um 1232 wird in Mallorca Raimon Llull geboren, der als Raymundus Lullus versuchen wird, den christlichen Glauben seinen jüdischen und muslimischen Freunden zu erläutern. Im dritten Buch seines Werkes »Der Heide und die drei Weisen« antwortet der Christ in Artikel 4 auf des Heiden Frage, »warum in Gott die Dreiheit der Personen existiert?«, unter anderem mit unserem geometrischen Gleichnis: »Das Sein passt bei den Geschöpfen besser mit der Zahl der Dreiheit und Einheit zusammen als mit einer anderen Zahl; da es so ist, dass jedes Geschöpf eines in der Substanz ist und in drei Besonderheiten, aus denen die Substanz sich zusammensetzt: wie ein Körper, der nicht einer sein kann ohne Länge, Breite und Tiefe. Und ohne dass ein Körper lang, breit und tief wäre, könnte er nicht existieren: da es mithin so ist, dass bei den Geschöpfen die Zahl der Dreiheit und Einheit besser passt, deshalb passt es, dass in Gott – der ein vollkommeneres Sein als die Geschöpfe hat – das Sein mit der EINHEIT und DREIHEIT in der Zahl übereinstimme; sonst würde folgen, dass Sein und Zahl bei den Geschöpfen besser übereinstimmen als in Gott; das aber ist unmöglich.« (Raymundus Lullus, Opera Tomus II [Mainz 1722, Neudruck Frankfurt/M 1965], 72 f.

d) 1690 bringt in England John Wallis diesen Vergleich, und zwar zur Widerlegung der sozinianischen Behauptung, die Drei-Einigkeit widerspreche der Vernunft: "Nehmen wir also einen kubischen Körper an (was das ist, weiß jeder, der einen Würfel kennt) ... Hier gibt es drei räumliche Dimensionen, jede von der anderen wahrhaft (nicht nur vorstellungsmäßig) unterschieden: Der Abstand Ost/West ist (ob wir daran denken oder nicht) nicht der zwischen Nord und Süd; noch ist einer davon der zwischen Oben und Unten. Die Länge ist nicht die Breite oder Höhe; die Breite ist nicht die Länge oder Höhe; und die Höhe ist nicht die Länge oder Breite: sondern sie sind drei Dimensionen, wahrhaft voneinander unterschieden: doch sind alle diese nur ein Würfel: und sollte eine von ihnen fehlen, wäre es kein Würfel. Es ist deshalb kein Widerspruch, daß was in einer Hinsicht drei sind (drei Dimensionen) in einer anderen Hinsicht so geeint ist, daß es nur eins ist (ein Würfel). Und wenn das bei Körperlichem so sein kann, viel mehr bei Geistlichem." Hier dient der Würfel bloß als Vorstellungsmodell für die Vereinbarkeit von Drei und Eins. Als faszinierendes Welt-Bild im Kleinen zeigt er sich, sobald wir die Dimensionen als Relationen begreifen, als Abbilder jener unendlich-ewigen Beziehungen in Gott, zu deren Partizipation, besser: "Toticipation" (E. Schadel) wir berufen sind. Allerdings ist das trinitarische Denkmodell so komplex, daß die Einfühlung Zeit und Mühe verlangt. Wer sie aufbringt, findet ein starkes Ruhegefühl. Das autogene Training fange ich mittlerweile so an: ich bin ganz ruhig - dreifach erlöst. Und schon spüre ich mich im gottmenschlichen Kraftfeld, heil; denn nichts Wesentliches fehlt.

Die ökumenische Sinn-Kathedrale

Durch die linke Eingangstür betrete ich den ökumenischen Dom in Form eines gewaltigen, vielfach durchbrochenen Würfels aus Glas. Dreifach kann ich blicken: entweder nach oben, zum DU Gottes des Vaters. Oder in die Tiefe, nach hinten, wo das unendliche EINS mich bergen will, Sie, die Liebe des Heiligen Geistes. Oder nach rechts, vorwärts, wo ich mich selbst verwirklichen will, in Teilhabe am ewig freien ICH des göttlichen Kindes. Entlang jeder dieser drei Linien kann mein Geist sich bewegen, und zwar bezogen auf jeweils einen von zwei Schwerpunkten: entweder beziehe ich mich auf das Viele, die bunte Fülle des Geschaffenen, in welchem der göttliche Sinn sich gestalten will; nennen wir diese Weise "kosmisch". Ihr Ort in der Kathedrale ist das Eingangstor links unten vorn. Oder ich erlebe mich als Teilhabe am Einfachen, Ununterschiedenen, unsagbar Reinen des Eigentlichen selber; das ist die "mystische" Seinsweise, ihr Ort ist der göttliche Gegenpunkt der Würfeldiagonale: rechts oben hinten.

Was wir üblicherweise "Religion" heißen, vollzieht sich entlang der DU-Dimension unten/oben. "DU im Himmel", das ist die Wahrheit des Judentums, des Islam und aller anderen Formen, den einzigen Gott anzubeten, z.B. auch der christlichen Frömmigkeit. Die kosmisch Frommen verstehen ihren Gott als den Schöpfer und Herrn der Geschichte; Er erwählt Völker und Einzelne, Sein Wille erwartet Bestimmtes von uns. Der mystisch frommen Seele dagegen versinkt das Bestimmte mehr und mehr im Abgrund des Einzigen, was gilt: der unendlichen Liebe ihres göttlichen Freundes. Kosmische und mystische Weise sind gleich vollkommen; Gott-bei-uns kann nur lachend "Beides, mein Schatz!" auf Leonoras jubelnde Frage an ihren Troubadour antworten: "Sei tu del ciel disceso o in ciel son io con te?"

Entlang der EINS-Dimension vollzieht sich die Geborgenheit im All-Einen, ihre kosmische Weise ist das ungegenständliche Grundgefühl der Leibesfrucht, das als gelebter Pantheismus in südlichen Festen schwingt; in unseren Breiten erlebt man es zuweilen rauschhaft beim Faschingstanz. Die mystische Eins-Weise hingegen ist nüchtern, auf sie richtet sich die Aufmerksamkeit des Zen-Jüngers oder Tao-Verehrers. Wer von ihr gekostet hat, sucht zwischen esoterischem Gebabbel und anti-esoterischem Spott ruhig seinen Weg der Meditation.

Die kosmische Weise der ICH-Dimension begegnet uns als die Einstellung solcher Humanisten, ja Atheisten, die es mit sich und anderen gut meinen, denken wir an "gläubig Ungläubige" wie Feuerbach oder Camus. Ihre Betonung des menschlichen Ich verteidigt auch eine göttliche Wahrheit! Als der Jüngere der verlorenen Söhne fortging, war nur seine Leugnung des Du falsch, nicht sein Ja zum Ich; eben deshalb geriet sein Bruder dann gleichfalls in die Krise, weil er umgekehrt genauso einseitig war. Die mystische Weise der ICH-Dimension ist die tiefe Offenbarung Indiens: alle Lebewesen sind verschiedene Rollen, Gestaltungen, Seinsweisen meines innersten SELBST.


Volle Internet-Adresse dieser Seite: http://www.stereo-denken.de/wuerfel.htm

Zurueck zur Leitseite von Jürgen Kuhlmann

Weiter in der Würfel-Erklärung

Siehe auch des Verfassers Predigtkorb auf dem katholischen Server www.kath.de

Kommentare bitte an Jürgen Kuhlmann