Jürgen Kuhlmann: Kat-holische Gedanken

Zweierlei Brückenchristen

Versöhnliches zum "Fall Willigis"


1) Alles Persönliche klammere ich aus.
Daß Willigis Jäger sich im Jüngerkreis "abfällig und spöttisch" über P. Lassalle geäußert hat, erklärt manche Bitterkeit; Rivalitäten unter Kündern sind aber weder neu noch schlimm, schon Paulus berichtet davon. Ob P. Lassalle als rechtgläubiger Christ gelebt hat (wie ein Freund mir versichert) oder (wie ein anderer meint) nur nicht aussprechen wollte, was er wirklich dachte - diese Frage erledigt sich, wie der Leser sehen wird, von selbst. Ein Pionier der Versöhnung lebt stereo.

2) Weil die göttliche Wahrheit unbegreiflich ist, dürfen Brückenchristen sagen, was das Lehramt so nicht sagen kann.
Die Kirche muß sich um eine Balance mühen zwischen dem deutlichen Zeugnis für die christliche Wahrheit und dialogischer Offenheit für fremde Wahrheiten, die zwar beim gegenwärtigen Erkenntnisstand mit der bisher entfalteten christlichen Wahrheit unvereinbar scheinen, die aber nach Gottes Willen in Zukunft vielleicht auch in der Kirche gelten dürfen. Brückenchristen sind solche, die dank besonderem Charisma jetzt schon diese Vereinbarkeit ahnen, mitunter erfahren. Sie dürfen ihren persönlichen Glauben auch bezeugen und weitervermitteln, sollen dabei aber deutlich machen, daß sie dies nicht im Namen der Kirche sondern auf eigene Verantwortung tun.

3) Wenn das Lehramt auf diesen Gegensatz hinweist - was sein Auftrag ist - darf es weder den Brückenchristen noch ihren Dialogpartnern Irrtum vorwerfen.
Denn Gottes Wahrheit ist reicher, als das Denksystem eines einzelnen oder einer Organisation jemals fassen kann. Außer bei klaren Verletzungen der Menschenrechte soll das Lehramt offenlassen, ob die abweichende Lehre Irrtum oder eine Wahrheit ist, welche die Christenheit derzeit - oder zu jeder irdischen Zeit - "noch nicht tragen kann" (Joh 16,12).

4) Brückenchristen gibt es entlang jeder geistigen Front.
Drei Beispiele bringe ich in "Kat-holisch" (im CiG-Buch "Christsein 2001" [von J. Röser 1998 herausgegeben] auf S. 218):
Ist Christus Gott? Ja, fühlt beseligt Tomas (Joh 20,28), und auch auf seinen Glauben gründet sich die Kirche. Nein, widersprechen Juden wie Moslems. Und Jesus stimmt ihnen zu: "Warum nennst du mich gut? Niemand ist gut außer Gott dem Einen" (Mk 10,18). Insofern a) das Wort "Gott" den Vater meint und b) der Name "Jesus" die menschliche Natur bezeichnet, ist Jesus nicht Gott. Diesen kritischen Sprachgebrauch darf das innerchristliche Dogma den anderen nicht verbieten, also soll ein Christ ihr Zeugnis achten, es hilft auch ihm gegen die Versuchung, Endliches zu vergötzen.
Darf, umgekehrt, ein glaubendes Ich sich als Selbstvollzug des göttlichen ICH fühlen? Nein, erschrickt der Normalchrist, ihm bleibt Gott stets das hohe DU. Ja, glauben Hindu-Mystiker wie auch unser Meister Eckhart. Und irren nicht; denn "ehe Abraham ward, bin ICH" sagt Christus (Joh 8,58) und "nicht mehr ich lebe, sondern Christus lebt in mir" (Gal 2,20), bezeugt Paulus und fährt fort: "Ihr alle seid Einer in Jesus Christus" (3,28): Einer, nicht bloß irgendwie eins, sondern in Person das Ur-ICH selbst, ähnlich wie in jedem Haaransatz wahrhaft du selbst, dein Gesamt-Ich, es spürt, wenn an dem Haar gezupft wird. O Freude: "Kein Kopfhaar kommt um" (Lk 21,18)!
Sollen wir nach Gott fragen? Gewiß, weiß der Christ. Nein, erwidern Atheisten. Und gibt Jesus (Joh 14,9) ihnen nicht recht? "Wer mich sieht, sieht den Vater. Wie kannst du sagen: zeig uns den Vater?" Das sagt ein Mensch, der eben noch seinen Freunden die Füße wusch. Dürfen wir demnach solchen, die von Gott absehen, nicht widersprechen? Doch, wir sollen es. Denn wir sind ein anderer Wahrheitspol als sie. Widersprechen heißt aber nicht so tun, als hätten sie unrecht. Sondern wir seien wie ein Trompetenstoß ins Geflirre der Streicher, weil ohne ihn der gemeinsamen Musik Entscheidendes abginge. Recht kann ein Atheist aber auch haben; denn wie sagte so schön ein berühmter Theologe: "So wie den Bodensee gibt es Gott nicht." In Aida tritt kein Verdi auf.

5) Auch zur tiefen Heilslehre des Buddha hin gibt es Brückenchristen.
Ich erinnere an das prophetische Wort von Romano Guardini ("Der Herr", S. 360): "Einen Einzigen gibt es, der den Gedanken eingeben könnte, ihn in die Nähe Jesu zu rücken: Buddha. Dieser Mann bildet ein großes Geheimnis. Er steht in einer erschreckenden, fast übermenschlichen Freiheit; zugleich hat er dabei eine Güte, mächtig wie eine Weltkraft. Vielleicht wird Buddha der letzte sein, mit dem das Christentum sich auseinanderzusetzen hat. Was er christlich bedeutet, hat noch keiner gesagt. Vielleicht hat Christus nicht nur einen Vorläufer aus dem alten Testament gehabt, Johannes, den letzten Propheten, sondern auch einen aus dem Herzen der antiken Kultur, Sokrates, und einen dritten, der das letzte Wort östlich-religiöser Erkenntnis und Überwindung gesprochen hat, Buddha."

6) Der Gegensatz Christentum/Buddhismus ist für den Menschenverstand deshalb unübersteigbar, weil er einen absoluten, innergöttlichen Gegensatz abbildet.
Und zwar die trinitarische Relation zwischen dem in Jesus historisch erschienenen Wort Gottes und der unfaßbaren, alldurchwaltenden innergöttlichen Liebe, die in der Kirchensprache "Heiliger Geist" heißt, als "dritte Person" aber nicht ihrer eigenen Würde gemäß, vielmehr nur als Projektion auf die Dimension des Wortes aufgefaßt wird.
Das Problem ist alt. Vom Kirchenvater Basilius erfahren wir [De Spiritu Sancto, Kap. 25], daß es im vierten Jahrhundert Christen gab, die nicht zum Heiligen Geist beten wollten, nur in ihm. Obwohl auch sie als Irrlehrer bekämpft wurden, lebten sie doch eine wichtige Wahrheit. Hat ein Embryo eine Beziehung zu seiner Mutter? Ja. Ohne sie wäre er nichts. Kennt ein Embryo seine Mutter als jemanden, eine Person sich gegenüber? Nein. Er ist von Ihr belebt, doch ohne gewußte Andersheit. Als solchen mütterlichen Ursprung lehrt die Kirche uns "den" Heiligen Geist verstehen. Im Weltkatechismus [694] wird die innergöttliche Liebe "in Person das lebendige Wasser" genannt, das "uns das ewige Leben schenkt", ähnlich "wie wir im Fruchtwasser unserer Geburt entgegenwuchsen". Niemand kann sich zugleich in seine embryonale Ur-Einheit versenken, wie die buddhistische Tradition es pflegt, und zu Dir, Gott, beten, wie wir Christen es mit den Juden und Muslimen zusammen tun.

7) Es gibt zwei christliche Weisen, eine Brücke zum Buddhismus hin zu stützen.
Wenn wir die Brückenchristen mit Brückenpfeilern vergleichen, stehen einige näher dem Landesinnern, andere hart am Abgrund.
a) Zu den Landnäheren gehören P. Johannes Kopp und seine Freunde. Ihr Charisma besteht darin, die von ihnen als heilsam erfahrenen Impulse des Zen-Weges in die schon bestehende, auf Jesus als diesen Menschen hin zentrierte christliche Denkform zu integrieren. Dies ist eine innerchristliche Aufgabe.
b) P. Willigis Jäger und seine Jünger anderseits treten am Rande der Christenheit als Zeugen der ganz anderen buddhistisch-pneumatischen Heilswahrheit auf, müssen sozusagen "zweisprachig" wirken: als Missionare - nicht des Buddhismus als einer Organisation neben der Kirche, wohl aber - der buddhistischen Botschaft als Wahrheit auch für die Christen. Diesen Wahrheitspol kann die Kirche nicht in seiner radikalen Reinheit sagen, muß ihn aber hören und darf sein Erklingen auch da, wo sie Einfluß hat, nicht verbieten. Ähnlich kann der Cellist im Orchester nicht die Hornstimme tönen lassen - wenn er sie aber nicht hört, kennt er nicht die Sinfonie und spielt auch den eigenen Part nicht so gut wie er soll und könnte.
So verkündet die Kirche Jesus Christus den gekreuzigten und auferstandenen Sohn Gottes, soll sich aber auch (z.B. von P. Willigis ["Suche nach dem Sinn des Lebens", Petersberg 1991, S. 121]) sagen lassen: "Jesus war ein historischer Mensch, Christus aber ist Symbol für die ewige transpersonale Seinsweise, die in allen Menschen angelegt ist und sich entfalten soll. Wir sind alle gesalbt mit dieser Seinsweise ..." Das stimmt auch. Bedenken wir: Dieselbe ungeschaffene Person, die Jesus so erfüllt hat, daß er ihr gegenüber keine eigene, andere Person war und ist, will auch in unserem Innern leben. Diese Christus-Wahrheit läßt sich orthodox schwer sagen, daran ist schon Meister Eckhart gescheitert. Wer sie aber nicht hört und glaubt, ist mehr Jesuaner als Christ, weil für ihn Jesus immer zwischen ihm und Christus steht - gegen Christi Willen (vgl. Joh 16,7).

8) Sobald das christliche Dogma nicht mythologisch sondern rechtgläubig verstanden wird, wandelt die heillose Polarisierung sich in heilsame Polarität.
Jesus war kein "göttlicher Mensch" im heidnischen Sinn, sondern in ihm ist Gott selbst, das mit keinem vergleichbare unendliche Prinzip und Ziel von allem, einer aus uns geworden. Jesus war keine geschaffene Person. Deshalb ist ER von sich aus überall anwesend, wo ein Mensch oder eine Gemeinschaft im Heil lebt, unabhängig davon, ob er als dieser Mensch ausdrücklich genannt wird. Was er allen vermitteln will, ist die Unmittelbarkeit des Heils.
Das gilt - diese Parallele scheint mir unseren Konflikt aufs Erhellendste zu entschärfen - nicht nur in der buddhistischen EINS-Dimension des Heiligen Geistes sondern schon in der monotheistischen DU-Dimension: Sobald wir, wie der Herr uns gelehrt hat, beim "Vater Unser" uns an Gott wenden, steht Jesus in keiner Weise dazwischen, erfüllt unser Bewußtsein nicht als Objekt, als anderer uns gegenüber, vielmehr als gemeinsamer Urgrund unseres je subjektiven Ich. Zum Vater beten können wir in Wahrheit einzig als "Kinder im Sohn".
Ebenso ist es bei des Sohnes Mutter-Beziehung. Die Große Einheit vollziehen können Buddhisten wie Christen nur in IHM der auch in Ewigkeit "im Heiligen Geiste jubelt" (Luk 10,21). Das soll der eine Christ ausdrücklich bezeugen, der andere darf, um der Klarheit des Vermittelten willen, den Vermittler verschweigen. Wer dagegen protestiert, erinnere sich der Geschichte vom Berliner Ferienkind in der bayerischen Klosterschule und seiner Antwort auf die Frage, was das sei: braun, mit buschigem Schwanz, hüpfend von Ast zu Ast. "Ick tat ja sahrn, det is 'n Eichhörnchen, aber wie ick den Laden hier kenne, wird det wohl wieder det liebe Jesulein sein."

9) Beide Gruppen christlicher Zen-Jünger dürfen sich deshalb auf Christus berufen, je anders.
Ähnlich wie eine Chorleiterin den Sopranpart mitsingt und winkend den Baß hervortreten läßt, so will Christus - stelle ich mir vor - von den einen die Übersetzung der Zen-Impulse in seine geschichtliche Stiftung, die Kirche, samt ihrer orthodox christlichen Sprache, von den anderen aber sehr wohl das - institutionell nicht mittragbare, von einzelnen Christen aber als persönlicher Auftrag erlebte - Bezeugen der rein peumatischen östlichen Weise. "Der Geist kann nie Wort werden", wie oft hat unser verehrter "Spiritual" P. Wilhelm Klein SJ das betont! Viele Germaniker erinnern sich.
Daß Gottes Geheimnis sich vom Verstand nicht begreifen läßt, ist ein katholisches Dogma. Daraus folgt, daß zueinander polare geistliche Erfahrungen, wenn sie in Begriffe gefaßt werden, einander irgendwann widersprechen müssen. Täten sie es nicht, hätte der sie Denkende die innerste Wahrheit begriffen.
Zum Glück maßt sich das weder der Mystiker noch das Lehramt an. Deshalb meine Bitte: In Gottes Namen, haltet Frieden!

Nürnberg, 23. Oktober 2002

Vgl. meinen Essay "Rennmaus und Zen-Katze" von 1980.


Volle Internet-Adresse dieser Seite: http://www.stereo-denken.de/zen-chri.htm

Zur Leitseite

Zu meinem neuen Predigtkorb.

Siehe auch des Verfassers alten Predigtkorb von 1996 an

Schriftenverzeichnis

Kommentare bitte an Jürgen Kuhlmann